Montag, 27. Juli 2015

Zeit zum Abschiednehmen

"Jeder Abschied schmerzt, egal wie lange man sich schon auf ihn freut."

Überwältigendes Chaos der Gefühle
Es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich glaube, dass mich die letzten elf Monate mein ganzes Leben lang begleiten werden. Wie oft werde ich wohl an diese Zeit zurückdenken.
Julia freut sich riesig, ihre Familie, Freunde und Heimat wiederzusehen.
Elaete verspürt bedrückende Ungewissheit darüber, was ihre Zukunft bringen wird.
Julia ist gespannt, was sich in ihrer Heimat in der Zwischenzeit verändert hat.
Elaete ist unbeschreiblich traurig, ihre Heimat hinter sich zu lassen.

                                     
 Hat's was gebracht?
Dieses Jahr hat mich definitiv auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht und mir viele Seiten an mir selber aufgezeigt, die mir vorher nicht bewusst waren. Schon die ganz kleinen Freuden im Leben erfüllen mich derzeit mit Glück. Wenn ich darauf blicke, was ich mir für das Jahr vorgenommen habe, bin ich sehr zufrieden. Obwohl ich glaube, dass der Weg zum inneren Frieden wohl ein lebenslanger Prozess sein wird.
Ich hatte befürchtet, zu vielen Menschen, die mir viel bedeuten aufgrund der großen Distanz den Kontakt zu verlieren. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten – ich bin überrascht, mit wie vielen wunderbaren Menschen ich über das Jahr Kontakt halten konnte. Manchmal hat es eine Ewigkeit gedauert, bis ich geantwortet habe, aber besser spät, als nie.

Vorfreude und Abschiedsschmerz
Neben meiner Familie, meinen Freunden und meiner Heimat empfinde ich eine riesige Vorfreude auf die ganzen banalen Dinge, die ich über das Jahr vermisst habe:
Elektrische Geräte wie Waschmaschine, Trockner, Staubsauger, Glätteisen, Föhn, Lockenstab, W-Lan-Router, sowie eine beständige Stromversorgung.
Mein Kleiderschrank in Deutschland und Teile wie Jeans, Miniröcke, Bikini und kurze Hosen.
Lebensmittel wie Pizza, Döner, Wasser mit Kohlensäure, Salat, Käse, Quark, dunkles Brot und Brötchen, Müsli, Fast-Food und Cocktails.
Events wie Mädelsabende, Kino, Partys, Diskotheken, Restaurantbesuche und Essensbestellungen
Oder "Typisch Deutsch"-Attribute (die mich vor einem Jahr noch unglaublich gestört haben) wie Ordnung, Bürokratie, Spießigkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Struktur
Außerdem: Autobahnen, Dusche mit regulierbarer Temperatur und meine Privatsphäre
Mein ugandisches Leben war sicherlich um einiges bescheidener. Dennoch wird mir diese Einfachheit in Zukunft bestimmt fehlen. Zudem fällt mir der Abschied zu all den wunderbaren Menschen sehr schwer. Die Kollegen bei TASO, die Aunties und Kinder von Amecet, die Mädchen im Internat, die Leute aus der Gemeinde, die Lehrerinnen der Sonntagsschule. Außerdem wird mir der tägliche Sonnenschein, die vielen Früchte und die sehr präsente Lebensfreude fehlen.

Es war nicht immer einfach
Natürlich hatte ich im letzten Jahr auch Schwierigkeiten, Hindernisse und Herausforderungen.
Zum Beispiel musste ich mit Hautproblemen und unzählig vielen Mückenstichen kämpfen. Reichlich Narben werden mich sicherlich noch lange an Uganda erinnern.
Das rege Treiben der Ratten auf dem Dach riss mich oft aus dem Schlaf.
Ständig ungewollt im Mittelpunkt zu stehen und angestarrt zu werden haben mich ziemlich genervt. Die stinkenden Windeln der Babies waren auch keine Annehmlichkeit./Freuden
Achtstündige Messe
Doch die wirklich schwierigen Aspekte waren keine Äußerlichkeiten, sondern spielten sich in meinem Kopf ab. Unzählige Stunden konnte ich einfach nur dasitzen und Erfahrungen, Gefühle, Gedanken und Wertunterschiede reflektieren. Im letzten Jahr habe ich mir viel Zeit für mich selber genommen. Ich glaube, dass ich nun besser weiß, was ich brauche, was ich will, und was ich kann. Oft habe ich vor dem Dienst mit mir gehadert, ob ein solches Jahr nicht verschwendete Zeit ist, und ob es nicht effizienter ist, direkt mit einem Studium zu beginnen. Ich würde jedem dazu raten, sich nach der Schulzeit bewusst Zeit zu nehmen, um etwas ohne Leistungsdruck zu tun. Gewiss habe ich bei der Arbeit immer sorgfältig gearbeitet, jedoch hat niemand Meisterleistungen oder gar Perfektion erwartet. Befreit von diesem Druck fiel es mir sehr leicht, mich so zu geben, wie ich bin und abzuschalten. Früher oder später wäre ich bestimmt an einem Burn-Out erkrankt, wenn ich nicht gelernt hätte, wie wichtig es ist, eigene Bedürfnisse und Moralvorstellungen in den Vordergrund zu stellen. Denn am Ende bin ich nur mir selber Rechenschaft schuldig.

Das nehme ich aus Uganda mit
Immaculate Girls Secondary School
Am Anfang kannte ich niemanden und hatte überhaupt keinen Plan, was ich machen soll. In den letzten Monaten habe ich mich so viel aufgebaut, was ich nun einfach hinter mir lassen werde. Ich habe viele Freunde gefunden und mir sind auch meine Projekte wirklich ans Herz gewachsen. Ich habe gelernt, meine Wäsche mit der Hand zu waschen und mit Babies umzugehen. Ich habe mich in eine fremde Kultur integriert und eine neue Sprache gelernt. Ich habe gelernt, geduldiger zu sein und mich bei meiner voreiligen Meinungsbildung zurückzuhalten. Ich denke positiver und nehme mir bewusst mehr Zeit für mich selber.
Ich habe viele selbstverständliche Dinge aus Deutschland zu schätzen gelernt. Ich kann besser mit Langeweile umgehen und kann besser mit meinen Fehlern umgehen. Außerdem musste ich feststellen, dass mich Facebook nervös macht und das Deinstallieren von Whatsapp sich in gewisser Weise befreiend angefühlt hat.

Meine Arbeitskollegen bei TASO 

Danksagung
An dieser Stelle möchte ich auch dem Bistum Osnabrück und dem gesamten FDA-Team danken, dass sie mir dieses Jahr ermöglicht haben. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können.
Ich bin außerdem so dankbar für meine Freunde und Familie, die mir über die gesamte Zeit den Rücken gestärkt haben und denen ich mich zu jeder Zeit anvertrauen konnte.

Ausblick
Vielleicht kommt noch ein Post über meine (wie Papa es nennt) „Wiedereingliederung“. Vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen.


Letzter vielsagender und tiefgründiger Abschnitt
...Alles hat seine Zeit. Die Zeit zum Gehen ist gekommen. Und so sitzt Elaete mit Tränen in den Augen und Julia mit einem Lächeln im Gesicht da. Nachdem Julia in Uganda alles gegeben hat, muss sich nun Elaete in Deutschland beweisen. „Mam ipodo“, flüstert Julia ihr ins Ohr. „Es wird schon alles gutgehen“.


Samstag, 25. Juli 2015

Lichtblick

"Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderem zu unterscheiden." (Friedrich C. Oetinger)

Die letzen Tage werden mir jedoch nicht gerade leicht gemacht. Ich habe mir eine bakterielle Infektion eingefangen. Letzte Woche hat mich eine Ratte auf meinem Schreibtisch aus meinen Träumen gerissen. Wenige Nächte später hatte ich wieder eine Ratte in meinem Moskitonetz. "Aus Versehen" wurde mein Huhn geschlachtet und zum Mittagessen zubereitet. Und zu allem Überfluss wurde ich nach einem langen Bewerbungsprozess für ein Stipendium abgelehnt.
Aber das ganze Übel löst sich in Nichts auf, wenn ich daran denke, bald wieder zu Hause zu sein.

In diesem Post möchte ich jedoch über ein Projekt berichten, was mich die letzten zwei Wochen intensiv beschäftigt hat. Dank großzügiger Spenden der KLJB Vrees und meiner Familie konnten wir drei AIDS-Waisen materiell unterstützen. Mit einer Arbeitskollegin bin ich zu drei Kindern der Kinderklink von TASO gefahren und habe zusammen mit Agnes ihre Lebenssituation angeschaut und mit der Familie über Probleme, Wünsche, Sorgen und Träume gesprochen.

Die Geschichte von Isa und John*


Während meiner Arbeit in der Kinder-Klinik der AIDS-Organisation TASO traf ich auf den füfzehnjährigen Isa und den elfjährigen John. Besonders John fiel mir dabei durch seine Unterernährung und die von Wunden übersäte Haut auf. Ihre Mutter ist vor zehn Jahren an AIDS verstorben. Zu der Zeit war John gerade einmal sechs Monate alt, sodass der fünfjährige Isa nun die Verantwortung für seinen kleinen Bruder tragen musste, während der Vater als Kurzzeitarbeiter auf dem Bau Geld verdiente. Durch das Babysitten musste Isa zwei Jahre lang auf die Schule verzichten. Der Vater musste gleichzeitig auch die Mutter-Rolle übernehmen.

John mit seiner neuen Schultasche.
Zuvor trug er eine Plastiktüte zur Schule.
Heute gehen beide Jungs zur Grundschule, wobei der Schulweg einige Kilometer beträgt. In den Schulferien gehen die beiden Jungs arbeiten, um sich die Schulmaterialien wie Bücher, Stifte, Uniform etc. durch Mithilfe in anderer Gärten zu verdienen. Den Beiden ist die Bedeutung von Bildung sehr bewusst. Später möchte Isa gerne Arzt werden und John Bank-Manager. Was mich am Meisten mitgenommen hat, ist die Tatsache, dass die Jungs weder Frühstück noch Mittagessen haben können. Abends bringt eine Tante etwas Essen vorbei. Durch ihre Krankheit müssten beide eigentlich morgens und abends Medikamente nehmen. John erzählt mir, dass er das gerne tun würde, jedoch, ohne Essen im Magen, die starken Medikamente ihn wirr und benommen machen.
Zwar weist Agnes auf die enorme Wichtigkeit von regelmäßigen und gesunden Mahlzeiten für HIV-infizierte Kinder hin - aber wie soll ein Vater dies bewältigen, wenn ihm das Geld dafür fehlt?

Mein größter Wunsch ist, dass die beiden nicht für ihre Schulbildung kämpfen müssen, sondern sich vor Allem auf ihre Leistungen konzentrieren können. Dass ihre Träume in Erfüllung gehen werden und ihre Krankheit kein Hinderniss für sie darstellt. Dass ihnen jeden Tag ausreichend Essen zur Verfügung steht. 

Die Geschichte von Apio Sarah


Die dreizehnjährige Apio wohnt in einem kleinen Vorort von Soroti. Ihr Vater ist gestorben, als sie noch ein kleines Baby war. Ihre Mutter ist vor zwei Jahren verstorben. Beide an den Folgen von AIDS. Seitdem kümmert sich eine Tante um das kleine Mädchen und ihren größeren Bruder.

Essen im Dorf

Apios Lieblingsfach in der Schule ist Englisch. Ihr Berufswunsch steht schon lange fest: Krankenschwester. Sie möchte kranken Menschen helfen, sich um sie kümmern und sie gesund pflegen. Das nächste Jahr ist ihr Abschlussjahr in der Grundschule.

Ich frage, was sie sich am Meisten wünscht – "Schuhe für die Schule". Die Tante zeigt sich überglücklich über unser Kommen und den Wusch, Apio zu unterstützen. Sie erzählt Agnes, dass am vorherigen Abend noch Streitigkeiten und Diskussionen über die Beschaffung der Schulmaterialien stattfanden. Apio braucht dringend neue Bücher für die Schule - doch was soll die Tante tun, wenn kein Geld zur Verfügung steht?
Fr. Paul segnet das neue Fahrrad
Die Gastfreundlichkeit und Dankbarkeit der Familie überstieg meine Erwartungen bei Weitem. Zum Abschied begleitete uns die gesamte Familie zur Straße und überreichte mir ein wunderschönes Huhn (in der ugandischen Tradition ist es üblich, Gästen als Zeichen der Dankbarkeit ein Huhn zuzubereiten oder zu verschenken).

Ich bin sehr froh, dass Agnes mich bei der gesamten Umsetzung begleitet hat. Ohne sie wäre es auch gar nicht möglich gewesen, da meine Kumam- und Ateso-Kenntnisse für solch intensive Gespräche defintiv nicht ausgereicht hätten. Zwar haben wir nicht die Welt gerettet, aber "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen". Deshalb finde ich es wichtig, dass wir alle zusammenhalten und Solidarität für unsere Mitmenschen zeigen. Jedoch nicht ohne den Sinn, Nutzen und die Nachhaltigkeit der Spende zu reflektieren.

Neben Fahrrädern und Schulmaterialen wurden durch die Spendengelder auch Schulgelder bezahlt.

*alle Namen geändert